Leserbrief: „Und alle Jahre wieder…“

Veröffentlicht am 28.12.2022

kommt die Silvesternacht, in der es blitzt und kracht… und das im wahrsten Sinne des Wortes!
Ja bald ist es wieder soweit, in wenigen Tagen macht ein Industriezweig seinen Jahresreibach mit Böllern und Raketen, und das mit Pauken und Trompeten.


Der Brauch geht auf den Todestag des Papstes Silvester 1. († 31. Dezember 335) zurück. „Zum Jahreswechsel um Mitternacht wird meist mit Feuerwerk, Böllern und Glockengeläut gefeiert. Das Feuerwerk sollte im vorchristlich-animistischen Glauben früher „böse Geister“ vertreiben und drückt heute auch Vorfreude auf das neue Jahr aus.“ (Wikipedia).


Da fragt sich der aufgeklärte Mensch des 21. Jahrhunderts, hallo, leben wir noch im frühen Mittelalter, wo man an Hexen, Geister und Dämonen glaubte und meint, diese zum Jahreswechsel mit Lärm und Gestank vertreiben zu müssen? Wie weit sind wir in diesem Land der Dichter und Denker gekommen, einerseits träumen wir vom digitalen Zeitalter, andererseits befindet ich eine Teil unserer Bevölkerung noch auf Steinzeitniveau, was man auch an vielen anderen Stellen merkt – leider.


Nein, was hier passiert, ist nicht nur die Freude auf das neue Jahr, wobei man angesichts der dramatischen Veränderungen auf unserem Planeten wie Überbevölkerung, Kriege, Klimawandel, Artensterben etc. sich ehrlich die Frage stellen muss, auf welche Verbesserungen sich man hier noch freuen kann? Vor hundert Jahren nach dem 1. Weltkrieg wäre ein solche Vorfreude noch begründet gewesen aber in der heutigen Zeit werden sich begründet nur Einige auf noch bessere Umsätze und Anhäufungen von Reichtum freuen können, die meisten werden aber diesbezüglich enttäuscht werden. Und diese, man wundert sich, machen in den Warteschlangen beim Böllerverkauf den größten Teil aus, hier steht nicht die soziale Mittel- oder Oberschicht oder gar die Intelligenz an, es sind oftmals die, die von Hartz 4 leben müssen und einen Teil ihres Geldes im wahrsten Sinne des Wortes dann noch verballern.
Was hier in der Silvesternacht jedes Jahr stattfindet, ist eine Art Stellvertreterkrieg, jeder kann sich und seinem Herzen (und Frust) mit lauten Geböllere Luft machen, oftmals gepaart mit reichlich Alkohol die Sau rauslassen, seinen archaischen Ur-Instinkten freien Lauf lassen…


Aber die Sache hat noch andere Haken. Jedes Jahr wurden allein in Deutschland rund 10.000 Tonnen Feuerwerkskörper im Wert von mehr als 100 Millionen Euro in die Luft gejagt. Coronabedingt ging dieser Umsatz in den letzten beiden Jahren zurück, könnte sich aber infolge der Aufhebung der coronabedingten Einschränkungen wieder steigern.
Durch die Böller und Raketen rieselt ein Chemiecocktail bestehend aus Schwarzpulver, Nitraten, Chloraten und Perchloraten – sauerstoffreiche Metallsalze der Elemente Natrium (gelbe Flammenfärbung), Kalium (blass-violett), Strontium (rot) oder Barium (grün) sowie Blei, Arsen, Aluminium, PVC, Schwefel und in kleineren Mengen Eisen-, Kupfer-, Titan-, Antimon- und Zinkverbindungen und viele weiteren Verbindungen leise vom Himmel und belastet Mensch, Tier und Umwelt. Die gesundheitlichen Risiken für die Menschen alle aufzählen, würde den Rahmen dieses Leserbriefes weit sprengen.
Raucher dürfen in Gaststätten nicht mehr rauchen, seit Jahren macht ein Abgasskandal nach dem anderen die Runde, Dieselfahrzeuge werden als die die Hauptschuldigen benannt, überall werden die Feinstaubwerte überschritten, Fahrverbote ausgerufen etc. Dabei zeigen Messungen, dass in Innenstädten in der Stunde nach Mitternacht Extremwerte von weit mehr als 1000 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft erreicht werden, über 20 mal mehr als erlaubt! Die Feinstaubbelastung durch die Silvesterknallerei trägt nach Angaben des Umweltbundesamtes zu 15% an der Gesamtfeinstaubbelastung durch Verkehr u.a. in Deutschland bei !
Na prima, wo bleiben da die Behörden, die Gleichen, die zuvor die Fahrverbote mit Hinweis auf den Schutz der Bevölkerung vor Feinstaub ausgerufen haben? Hier ist noch dringender Handlungsbedarf durch die zuständigen Behörden und Kommunen notwendig!


Am schlimmsten trifft es die Tiere. Jeder Tierhalter, egal ob Hund, Katze, Vogel oder Pferd weiß, dass Tiere sehr lärmempfindlich sind und der Lärm und Gestank ist für die Tiere unerträglicher Stress und Folter! Zehntausende in den Städten lebende und dort schlafende Wildvögel, vor allem Haussperlinge werden durch dieses Silvesterinferno von ihren Schlafplätzen aufgescheucht, fliegen verängstigt in die Dunkelheit und verunglücken zu Tausenden!
Jedem wahren Tierfreund zerreißt es angesichts dieser Situation das Herz und es ist auch ein Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz §39 und gegen das Tierschutzgesetz §1 !
Aber auch Menschen, die diese Knallerei nicht wollen, werden durch diese belästigt. Der Straftatbestand der Nötigung wird durch diese Knallerei voll erfüllt. Eine Ökobilanz für die Herstellung der Knaller und die Knallerei selbst fällt verheerend aus, zurück bleiben Dreck, Umweltbelastungen und Sondermüll.


Für mich steht fest, die, die meinen, durch Luft- Licht- Lärm- und Umweltverschmutzung, denn nichts anderes ist diese Silvesterknallerei, das neue Jahr begrüßen zu müssen, haben sich selbst einer ganz spezifischen Bevölkerungsgruppe zugeordnet und können mit Sicherheit keine Tierfreunde sein!


Lutz Reißland
Naturschutzbeauftragter
Allendorf